Tja, wie ist sie denn nun, die
Mitternachtssonne?
Eigentlich sieht es gar nicht besonders aus. Die Sonne steht halt recht
tief am nördlichen Horizont, und es ist wohl etwa so hell wie bei uns
eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang. Ich habe mir die Mitternachtssonne
immer als eine Art Dauer-Sonnenuntergang vorgestellt, aber irgendwie war
es heller. (Es war auch heller, als es auf den Fotos ausschaut.)
Die Helligkeit ist natürlich ein Problem, wenn man
als Südeuropäer im hohen Norden schlafen will. Besonders, wenn man im
Zelt übernachtet, wie wir dies beim Nordkapp getan haben. Morgens um zwei
scheint durch irgendeine Ritze die Sonne mitten ins Gesicht, und der Körper
schaltet sofort auf Tagbetrieb und ist hellwach. (Das ist bei meinem Körper
ganz besonders komisch, denn zuhause läuft er sonst grundsätzlich bis
mindestens 10 Uhr auf Nachtbetrieb, unabhängig vom Sonnenstand. Ausserdem
kann er merkwürdigerweise an einem Sonntagnachmittag problemlos bei
vollem Tageslicht schlafen.)
Aber man gewöhnt sich mit der Zeit an die
Helligkeit. Schliesslich ist es im Sommer in weiten Teilen von
Skandinavien taghell, auch in den Gebieten südlich vom Polarkreis. (Ich
habe mich übrigens unheimlich auf die heimische Dunkelheit mit sichtbaren
Sternen gefreut, bin aber nicht sicher, ob ich seit meiner Heimreise
jemals einen Blick auf die Milchstrasse geworfen habe. Das muss ich
unbedingt noch nachholen.)
Am Tag danach nahmen wir die zweistündige Wanderung
zum
tatsächlichen nördlichsten Punkt unter die Wanderschuhe. In der
ersten Stunde führte der Weg über eine weite Ebene, um in der zweiten
Stunde in eine Schlucht mit einer Bucht am Ende abzufallen. Nach 2 ˝
Stunden fanden wir uns auf einem endlosen Strand wieder, und ärgerten uns
über das Reisebuch. Der blöde Autor hätte wirklich erwähnen können,
dass er mit den zwei Stunden nur den Hinweg meinte, und dass man die zwei
Stunden nur mit Jogging einhalten kann, und dass der Rückweg einiges
beschwerlicher ist, und überhaupt!!!
Nach endloser Marschiererei kamen wir dann doch
wieder zu unserem Auto zurück – halbtot, aber wenigstens noch lebend.
So, von jetzt an führte der Weg endlich mal wieder
nach Süden. Wir klapperten der Reihe nach die wichtigsten Städte im
Norden Norwegens ab, und die hören auf die schönen Namen Hammerfest,
Alta und Tromsø.
Aus Hammerfest habe ich vor vielen Jahren einmal eine
Postkarte von meiner Gotte bekommen, darum wollte ich da schon immer mal
hin. Ist eine hübsche Stadt mit Hafen und der grössten Fischfabrik
Skandinaviens. Ihr habt bestimmt schon mal die panierten Stäbchenfische
der Marke „Findus“ gegessen? Die Chance ist ziemlich gross, dass diese
Fische auch schon mal in Hammerfest waren, nur hat es den Fischen hier
wohl weniger gut gefallen.
In fast jeder nordnorwegischen Stadt gibt es ein
Museum über den 2. Weltkrieg. Norwegen wurde in dieser Zeit von
Deutschland besetzt. Die Wehrmacht hatte grosse Verbände dort oben
stationiert. Der Grund dafür waren die englischen Versorgungslinien nach
dem russischen Nordpolarhafen Murmansk. In den Gewässern nördlich vom
Nordkapp sind damals viele Schiffe versenkt worden. Ausserdem befürchtete
Hitler, dass die Invasion der Alliierten in Norwegen statt in der
Normandie stattfinden würde. (Naja, wenigstens mit den ersten drei
Buchstaben hatte er recht.)
Als sich der Krieg dem Ende zuneigte, befahl Hitler
den Rückzug aus Nordnorwegen. Doch vor dem Abzug vertrieben die deutschen
Truppen die Einwohner, und zerstörten die meisten Städte und Dörfer
total. Kaum ein Haus blieb stehen. Damit wollte man verhindern, dass die
Russen in Norwegen einmarschieren und nach Südnorwegen vordringen
konnten. „Politik der verbrannten Erde“ nennt man das.
Deshalb sieht man hier oben fast keine alten Häuser,
sämtliche Gebäude wurden erst nach dem Krieg errichtet.