Brisbane, Australien, 18. März 2000
Hallo Heimat
Meine Reise geht langsam zuende. Am übernächsten Sonntag verlasse ich Australien, um noch je einen Kurzbesuch in Auckland und in Tokyo einzulegen.
Wenn man Australien mit meinem geliebten Heimatdorf Einsiedeln vergleicht, kommt man zu folgendem Schluss:
1. Australien ist klein
2. Australien hat fast keine Einwohner
Im letzten Oktober hatten wir eine Jahrgangszusammenkunft. Ich habe damals festgestellt, dass ich einige Jahrgänger seit der Schulzeit, welche nun schon seit 10 Jahren vorbei ist, nie mehr gesehen habe. Dabei wohnen die meisten immer noch im gleichen Dorf wie ich!
In Australien dagegen trifft man ständig auf bekannte Gesichter. Man muss sich eigentlich von keiner Hostel-Bekanntschaft richtig verabschieden, denn es ist fast sicher, dass man sich 2 Wochen später in irgendeiner Millionenstadt oder an einem Surfer-Strand wiedersieht.
Im letzten Reisebericht habe ich zwecks Ankurbelung der heimatlichen Gerüchteküche die schöne Yasmine, die ich in Adelaide getroffen hatte, erwähnt. Natürlich habe ich Yasmine wiedergetroffen! Sie kam mir in Sydney auf der Strasse entgegen.
Naja, Sydney ist halt sehr klein und hat kaum Einwohner (4 Millionen, glaub' ich), ausserdem gibt's in Australien kaum andere lohnenswerte Reiseziele, die zur Zeit nicht unter Wasser stehen...
Ihr fragt Euch bestimmt: "Wieso macht der Kerl eine so lange Einleitung, weiss der denn nichts Gescheites zu berichten?"
OK, ihr habt mich erwischt. Nach dem ganzen Regen hat mich eine komische Reisemüdigkeit erwischt. In der Folge hab ich's mit der Reiserei ein wenig gemütlicher genommen.
Von Sydney folgte ich der Ostküste in Richtung Norden, und besuchte Byron Bay und Surfers
Paradise.
Byron Bay ist eine kleine Ortschaft am Meer, die vor allem für seine Surfer-Strände bekannt ist. Ich spreche nicht von Windsurfing, sondern vom "richtigen" Surfen, dass nicht nur eine Sportart sondern eine Lebenseinstellung ist, wie mir ein ziegenbockbärtiger, einheimischer Zeitgenosse mit Rasta-Locken und Piercing durch die rechte Augenbraue glaubhaft versichert hat. Die Lebenseinstellung besteht darin, dass eine grössere Anzahl Leute (soweit das bei der kleinen Einwohnerzahl
Australiens möglich ist) in farbiger, wasserdichter Kleidung draussen im Meer steht und Plastikbretter vor sich hält. Das tun sie für eine geraume Zeit, bis zufällig eine grössere Welle vorbeikommt. Dann versuchen sie, auf die erwähnten Bretter zu springen, und sich von der Welle in Richtung Strand spülen zu lassen, was aber nur selten gelingt. Die meisten geraten nämlich unter die Welle, speien danach einige Deziliter Salzwasser gemischt mit Sand aus, und versuchen's nochmals.
Surfers Paradise ist ein Quartier der Stadt "Gold
Coast", von desser Existenz ich bis zu meiner Ankunft dort keine Ahnung hatte. Die Stadt beherbergt zwar rund eine halbe Million Einwohner, besteht aber bei näherer Betrachtung trotzdem fast nur aus Hotels und Souvenirshops. Ausserdem verirrt sich einmal jährlich die Indycar-Szene nach Surfers
Paradise, um dort ein Autorennen abzuhalten. (Indycar ist für die Amerikaner, was für uns die Formel 1 ist.)
Der nächste Stop legte ich in Brisbane ein, der Hauptstadt des Bundesstaates "Queensland". Das ist eine schöne Stadt, aber ich habe hier fast nichts unternommen.
Doch endlich nahte einer der Höhepunkte meiner Reise: Der "2000 Qantas Australia Grand Prix Melbourne"
("Qantas" schreibt man tatsächlich ohne "u", also nicht "Quantas", und steht für "Queensland And Northern Territory Aerial Service", die grösste australische Luftfahrtgesellschaft.)
Ich setzte mich also in Brisbane in einen Zug, und fuhr Rund 30 Stunden Richtung Süden.
Kurz vor Sydney entschloss sich ein Fussgänger, das Duell mit dem Zug aufzunehmen. Der Zug gewann. Das scheint ein weiterer Fluch zu sein, der auf mir lastet. Schon bei meiner Amerika-Reise 1997 beendete einer sein Leben, indem er vor meinen Zug sprang. Diesmal sah ich wenigstens die Leiche nicht.
Die Reise ging weiter Richtung
Melbourne, wo ich auch prompt eine Stunde vor dem sonntagmorgentlichen WarmUp eintraf. Ein Autorennen ist ein komisches Erlebnis: Man sitzt irgendwo auf einem Hügel ohne Blick auf einen Grossbildschirm, denn Grossbildschirme sind nur für die Snobs gedacht, die 300 Dollar für einen Tribünenplatz ausgeben. Ich armer Budgettraveller hatte aber nur 80 Dollar für eine "General
Admission" übrig, und musste mich also auf meine eigenen Augen verlassen, was nicht sehr einfach ist.
Jeder Fahrer hat einen speziellen Helm, damit man ihn erkennen kann. Die Autos sind aber so schnell, dass man keine Chance hat, den Helm zu erkennen. Wenn man nicht mindestens 100 Meter der Rennstrecke überblickt, hat man sogar kaum Zeit, die Marke des Teams zu erkennen. Man kann auch nicht den nebenstehenden Zuschauer fragen, um welches
Auto es sich handelt, dann
sprachliche Verständigung ist wegen der extremen Lautstärke dieser Autos schlicht unmöglich.
Dass Rennerlebnis ist in etwa so: Man hockt also auf dem Hügel, und sieht in der ersten Runde zwei graue Autos vor zwei Roten vorbeifahren. Ein paar Runden (keine Ahnung,
wieviele) später ist es dann plötzlich nur noch ein graues Auto vor zwei Roten. Nach ein paar weiteren Runden stellt man dann fest, dass die beiden roten Autos plötzlich alleine unterwegs sind, was natürlich sofort Fragen aufwirft:
"Hat Hakkinnen/Coulthard (der im grauen Auto halt) die Ferraris abhängen können, ist er ausgefallen, oder hat die Boxencrew beim Tankstop die Autos in irgendeiner anderen Farbe angemalt?"
Doch kurz darauf kommt einem verschwitzter, blonder Finne in grauem Übergwändli neben der Strecke auf dem Rücksitz eines Töffs entgegen, was die Frage leider mit einem Ausfall beantwortet.
Man verliert langsam das Interesse an dem Renngeschehen, bis man plötzlich bemerkt, dass sich die Zuschauer durch die für die Fernsehkameras bestimmten Löcher in den Zäunen quetschen, oder sich über dieselben schwingen, um auf die Rennstrecke zu gelangen und sich in Richtung Zielstrich zu begeben. Als aufmerksamer Zeitgenosse schloss ich aus dem Geschehen, dass das Rennen beendet war, und machte mich auch auf den Weg zur Siegerehrung. Doch die zwei deutschen Flaggen über dem Siegerpodest liessen nichts Gutes erahnen: Schuhmacher hatte gewonnen, vor Barichello und Schuhmacher jr.! Sauberdiniz war ausgeschieden, aber wenigstens hatte Saubersalo mit dem 6. Platz einen WM-Punkt erkämpft, was ich umgehend mit dem Erwerb eines Sauberkäppis belohnte. (Am Tag danach informierte mich mein Bruder
emailisch, dass Saubersalo disqualifiziert worden war. Was für ein Reinfall!)
Nach diesem strapaziösen Wochenende brauchte ich dringend Ruhe und Abgeschiedenheit, deshalb verbrachte ich die anschliessende Woche in der Kleinstadt Sydney. (Schon wieder! Wenn ich mich gezwungen sähe, in Australien zu leben, würde ich mich in Sydney niederlassen. Ich liebe diese Stadt!)
Ich besuchte die Anlagen für die Olympischen Spiele im September dieses Jahres, welche ziemlich beeindruckend sind!
So, mittlerweile bin ich wieder auf dem Weg nach Norden, und stecke gerade in Brisbane fest. Einige Züge wurden wegen der Überschwemmungen im Norden gestrichen, weshalb ich einen Tag Verspätung auf meine Reiseplanung habe. Lasst Euch nicht davon täuschen, dass ich das Wetter in diesem Reisebericht kaum erwähnt habe. Ich habe es nur ignoriert, das sich kaum nennenswerte Veränderungen ergeben haben.
Ich habe übrigens meine Heimreise um eine Woche verschoben. Ich komme am Sonntag, den 16. April 2000 (Flug JL453, Ankunft 17:30 Uhr) zurück.
Viele Grüsse aus Brisbane
Marcel Schnyder, Abgasgeschädigter