Einsiedeln, Schweiz, 27. April 2000
Liebe Mitbürgerinnen, liebe Mitbürger
Ich darf Euch freudig mitteilen, dass Ihr in der näheren Zukunft von meinen ständigen Belästigungen durch Schlechtwetterberichte aus der südlichen Hemisphäre verschont bleiben werdet. Denn bereits seit zwei Wochen bin ich wieder zurück in der Schweiz.
In diesem Reisebericht kommt aussergewöhnlich wenig Regen vor. Ich kann nämlich von den zwei schönsten Wochen meiner gesamten Reise berichten: Ich unternahm eine dreitägige Segeltour durch die
Whitsunday-Islands im Nordosten Australiens. Das Boot hiess "Southern Cross", benannt nach dem Sternbild, dass auf der Flagge von Australien, Neuseeland und anderen Staaten prangt. Gebaut wurde das Boot in
den 70er-Jahren für den America's Cup, der Formel 1 des Segelsportes. Dieses Jahr fand der America's Cup in Auckland statt, das Team New Zealand hat gewonnen. Die "Southern Cross" kämpfte im Jahre 1979 um Ruhm und Wohlstand, und war ziemlich erfolgreich. Sie erreichte nämlich das Finale, und unterlag erst dort den Amerikanern!
Heutzutage ist die "Southern Cross" eines von rund 70 Booten, die Segeltouren in den Whitsundays anbieten. Sie bietet Platz für 14 Passagiere und 2 Crewmitglieder, von denen der eine das Boot steuern und der andere kochen muss. Der Koch war tatsächlich sehr gut! Wir sind also 3 Tage lang in der
Gegend herumgekurvt und haben auf Wind gehofft, der sogar gelegentlich aufkam. (Zum Glück hatte das Boot auch einen Dieselmotor.) Die Tage haben wir badender-, sonnender- oder
schnorchelnderweise verbracht, beinahe ungetrübt von Wolken und anderem meteorologischem Ungemach. Die Nächte dagegen waren dem Studium des unglaublich klaren und von Millionen von sichtbaren Sternen bevölkerten Nachthimmels (vor dem Aufgang des Mondes) und dem Studium des Innenlebens von Bierbüchsen (vor, während und nach dem Aufgang des Mondes) gewidmet. Beides war sehr interessant...
Die Whitsunday-Islands liegen zwischen dem Great Barrier Reef und dem Festland, und sie sind sehr gut von den seekrankmachenden Wellen des Pazifiks geschützt. Zum Glück! Die Inseln tragen im Übrigen einen falschen Namen. Captain James Cook hatte seiner Meinung nach die Inselgruppe an einem Weissen Sonntag entdeckt. Da er aber kurz vorher die Datumslinie überquert hatte, lag sein Kalender um einen Tag daneben. Die Inseln müssten eigentlich
"Saturday-Before-Whitsunday-Islands" heissen!
Der Whitsunday-Trip war mit Abstand das Highlight der gesamten Reise!
Doch die guten zwei Wochen waren noch lange nicht vorbei. An paar Tage später begab ich mich für eine 2-Tages-Tour auf die
Fraser Island, ein paar Hundert Kilometer südlich von den Whitsundays gelegen. Eigentlich handelt es sich bei der Insel nur um eine recht grosse Sandbank (ein Viertel der Fläche der Schweiz), die in den vergangenen Jahrtausenden von einem Regenwald überwuchert worden ist. Man muss aber nicht sehr tief buddeln, und schon kommt der sehr feine Sand zum Vorschein. Strassen gibt es fast keine auf der Insel, nur Sandpisten. Unsere Tour fand in einem 30 Personen fassenden
4WD-Bus statt.
Am ersten Tag besuchten wir den Regenwald und badeten in ein paar Seen auf der Insel. Im Meer drumherum kann man nicht baden, sofern man nicht als Frühstück eines Haies enden will. Auf der Insel leben ein paar interessante Tiere, z.B. wilde Pferde und fürchterliche Schlangen, die aber noch nie jemand gesehen zu haben scheint. Ausserdem hat es
Dingos, das sind wilde Hunde, die von den Aborigines vor Jahrtausenden nach Australien gebracht worden waren.
Am zweiten Tag besuchten wir die Westküste der Insel, die im Wesentlichen aus einem 120 km langen Sandstrand besteht. Dort hat es ein altes
Schiffswrack aus dem letzten Jahrhundert, dass an den Strand gespült wurde. Die amerikanische und die australische Luftwaffe haben im 2. Weltkrieg dieses Teil als Übungsziel benutzt, und Hunderte von Bomben darauf geworfen. Zum Glück haben sie nie getroffen, sonst könnte man das Teil heute nicht mehr bewundern. (Wie haben die bloss den Krieg gewonnen?)
Die zweite Hälfte des Tages brachte noch zusätzliche Aufregung: Am Mittag war nämlich ein Reifen des Busses geplatzt, welcher vom Tourguide prompt durch den Reservereifen ersetzt wurde. Am Heimweg platzte dann noch ein Rad - und natürlich hatten wir kein Ersatzrad mehr! Ausserdem befanden wir uns zu weit vom Ressort weg, um per Handy oder Funk Hilfe zu ordern.
Wir fuhren mit kaputtem Reifen bis in die Mitte der Insel, wo endlich Funkkontakt bestand. Der kaputte Reifen hatte aber mittlerweile kaum noch Ähnlichkeiten mit einem Reifen, eher mit einem modernen Kunstwerk.
Meine Tage in Australien waren hiermit gezählt, und ich setzte mich in Brisbane in ein Flugzeug, das mich nach
Auckland in Neuseeland zurückbrachte, wo ich meine Reise genau 4 Monate früher gestartet hatte.
Als ich so im Flugzeug sass, wurde ich plötzlich ein wenig traurig, dass die Reise nun schon bald zuende sein würde. Eine einsame Träne löste sich aus meinem Auge und suchte sich langsam den Weg nach unten. Ein Crewmitglied bemerkte die Träne - und geriet in Panik! Sofort begann die ganze Crew den Passagieren die Funktionsweise von Schwimmwesten zu erklären! Wegen einer einzigen Träne! Das fand ich dann schon etwas übertrieben... Ich muss mir in Zukunft ernsthaft
überlegen, jemals wieder mit der Qantas zu fliegen. Deren Personal hat einfach keine Nerven!
In Auckland erwartete mich genau das Wetter, dass ich dort erwartet hatte: Regen. Trotzdem wollte ich noch einiges vom
Norden Neuseelands sehen, da wir ja damals im Dezember direkt in Richtung Süden reisten. Ich machte also einen Ausflug in die
"Bay of
Islands". Das ist eine grosse Bucht, in die irgend jemand 144 Inseln gesteckt hat. Eine der Inseln ist ganz besonders, sitzt sie doch auf einem riesigen Loch. Das Loch ist so
gross, dass dadurch Touristen mittels Booten hindurchgekarrt werden können, was sich auch viele Leute antun. Der Nachteil der Insel liegt darin, dass sie fast draussen am Anfang der Bucht liegt, und dass die Boote durch riesige Wellen dahin gelangen müssen.
Wie mein Magen mit dieser Herausforderung klargekommen ist, kann sich jeder vorstellen, der meinen Reisebericht über das Whale-Watching auf der Südinsel gelesen hat. Glücklicherweise muss ich an dieser Stelle keine unappetitliche Beschreibung von einem halbverdauten Mittagessen auf dem Boden des Bootes von mir geben, wenn auch nur sehr knapp.
Einen weiteren Ausflug brachte mich auf die Coromandel-Halbinsel, südöstlich von Auckland gelegen. Dort gibt es ein paar alte Goldminen, die man heute besichtigen kann. In einer davon steht sogar noch eine altertümliche Goldwaschmaschine. Dank den Goldwaschfähigkeiten, die ich mir früher auf dieser Reise erworben hatte, erkannte ich natürlich sofort das Prinzip, wie diese Maschine das Gold vom normalen Sand trennt. Diese neuen Erkenntnisse werde ich allerdings für mich behalten. Falls ich jemals eine Goldader entdecken sollte, ist solches Wissen sehr wichtig!
Weiter geht's zu der Hotwater Beach. An zwei Stellen auf dem Strand kommt heisses Wasser herauf, wenn man ein Loch in den Sand buddelt.
Dummerweise weiss das jeder Tourist, der nach Neuseeland kommt. An schönen Tagen prügeln sich die Leute dort praktisch um einen Platz zum Buddeln. Es gibt aber noch einen anderen Heisswasser-Strand in Neuseeland, von dessen Existenz nicht einmal unser
Tourguide wusste. Alles weitere könnt Ihr in Reisebericht Nr. 1 nachlesen.
Meine Tage in Neuseeland waren damit gezählt, und ich flog weiter in die japanische Hauptstadt
Tokyo. Da ich genug vom Backpacker-Leben hatte, quartierte ich mich in einem richtigen Hotel ein. Dabei habe ich herausgefunden, dass Tokyo eine der teuersten Städte der Welt ist! Mein Portemonnaie spricht bis heute nicht mehr mit mir...
Naja, in Tokyo habe ich die neuesten
Toyotas, die neuesten Sony-Spielzeuge und ein paar buddhistische
Tempel gesehen - die waren nicht so neu. Ausserdem hatte ich noch ein wenig Fieber und noch eine andere Krankheit, die mit viel sitzen auf der Toilette verbunden ist.
Nach einer Woche im Lande der schlitzförmigen Augen flog ich wieder nach Hause
zurück. Doch schon im Flugzeug kamen mir
die ersten Gedanken an die nächste Reise: Indien soll ganz schön sein...
Viele Grüsse aus Einsiedeln
Marcel Schnyder, Heimkehrer