Greymouth, Neuseeland, 7. Januar 2000
Hallo Daheimgebliebene
Nachdem der Weltuntergang entgegen allen Prognosen doch nicht stattgefunden hat, habe ich mich endlich aufgerafft und einen ausführlichen Reisebericht verfasst.
Meine Reise begann am 6. Dezember in Kloten. Der Flug war ziemlich lange und langweilig. Ich konnte zwar Sibirien bei Nacht bewundern. Doch Sibirien bei Nacht ist nur eine schwarze Fläche unter schwarzem Himmel, soweit man blickt.
Nach 12-stündigem Aufenthalt in Tokyo ging es weiter nach Auckland in Neuseeland, wo ich schon von meinen beiden Reisekumpanen Beat und Sara erwartet wurde.
Es war sehr heiss in Auckland, etwa 30 Grad, und ich hatte keine kurzen Hosen dabei! Am nächsten Tag schon hatte ich mir die Shorts besorgt. Ich hab' sie seit diesem Tag nie mehr angehabt.
(Bloody Weather!!!)
Wir blieben nicht lange in Auckland, und fuhren bald in Richtung Süden. Den ersten Stop machten wir in
Otorohanga. (Die Ortsnamen hier sind alle so komisch. Ein Wunder, dass ich mir wenigstens einige davon merken konnte.) Ganz in der Nähe liegen die weltberühmten Waitomo
Caves. Ihr habt doch alle schon von denen gehört, oder? Da karren sie täglich hunderte von Touristen hin, damit die in einem Boot durch die Höhle fahren, und die Glühwürmchen an der Decke anstarren. Der Typ von der Herberge dort, er hört auf den aussergewöhnlichen Namen "John", schickte uns aber an einen anderen Ort abseits der Touristenpfade: Natural Bridge. Das ist ein ehemaliges Höhlensystem, das vor Jahrtausenden (oder aktueller:
Millenien) zusammengestürzt ist und heute eine Schlucht bildet. Am Ende der Schlucht sind ein paar Meter Höhlendach erhalten geblieben, und bilden eine natürliche Brücke. Bei Nacht hat es in der Schlucht und unter der Bridge Millionen von Glühwürmchen, aber keine Touristen. (Mit Ausnahme von 3 Schweizern, natürlich.) Es handelt sich dabei um kleine Raupen (die Glühwürmchen, nicht die Schweizer!!), etwa einen Zentimeter lang, deren Hinterteil leuchtet in einem tiefen
Blauton. Oder vielleicht leuchtet der Kopf, wer weiss das schon so genau? Die Felsen sehen aus, als seien sie von Sternen bewachsen,
Amazing!
Ein paar Kilometer weiter hatte es einen Strand aus schwarzem Sand. Wenn man in diesem Strand ein Loch buddelt, kommt heisses Wasser herauf! Ist wunderschön zum Baden. Zum Glück kommt gelegentlich eine kühle Welle vom Meer her, sonst würde es zu
heiss. Im Norden gibt es eine touristische Variante dieses Strandes, sie heisst "Hot Water Beach". Sara und Beat waren da, konnten aber keinen Platz zum Buddeln finden. Bei Otorohanga waren wir ganz alleine.
In Otorohanga gibt's noch eine weitere Attraktion, ein Kiwi-Haus. Kiwis sind die Nationalvögel Neuseelands. Sie sind recht klein (20 Zentimeter hoch oder so), und können nicht fliegen. Eigentlich können sie nur zwei Sachen: Am Tag schlafen sie, in der Nacht stecken sie ihren langen Schnabel in den Boden und fressen Würmer. In den Kiwi-Häusern werden sie nun ihr Leben lang verarscht: Die schalten nämlich am Tag das Licht im Kiwi-Haus aus, und in der Nacht ein. So können die tagesaktiven Menschen die nachtaktiven Kiwis herrlich beim Würmerfressen beobachten, ohne dass sie um ihren dringend notwendigen Schönheitsschlaf gebracht werden...
Kürzlich habe ich in der Zeitung folgende Schlagzeile gelesen: "Kiwi have Shooting in East Timor". Nun ist es nicht so, dass die Neuseeländer die Kiwi-Vögel mit Knarren ausrüsten und nach Timor schicken. Da wären die armen Vögel überfordert, schliesslich können sie nichts anderes als fressen und schlafen. Vielmehr identifizieren sich die Neuseeländer so sehr mit ihrem Vogel, dass sie sich selber "Kiwi" nennen. (In Osttimor haben neuseeländische Soldaten einem Terroristen ins Bein geschossen, dieser konnte aber fliehen.)
Die Reise ging weiter nach Rotorua.
Dort liegt das grösste Thermalgebiet von
NZ. Überall blubbert und brodelt, sprudelt und kocht es im Boden. Da gibt es
Geysire (das sind umgekehrte Wasserfälle, das Wasser spritzt vom Boden in den Himmel) und heisse Seen und Bäche, und wunderbar farbige Felsen.
Unser Weg führte uns weiter südlich nach Taupo
(ist auch ein Thermalgebiet) und weiter zum Mount
Ruapehu. Dieser Vulkan ist vor vier Jahren zum letzten Mal ausgebrochen. Ich habe ihn leider nie gesehen, er hat sich tagelang im Nebel versteckt.
Also fuhren wir weiter via Wanganui nach Wellington, der Hauptstadt von Neuseeland. Wir hatten die Fähre auf die Südinsel für 1:30 Uhr (Nachts!!!) gebucht, und mussten noch etwas Zeit totschlagen. Wir gingen also ins Kino.
Sara und Beat schauten sich "Mickey Blue Eyes" an, ich selber ging in den Saal nebenan und wollte mir "Stigmata" reinziehen. Nach etwa einer Stunde begann ein rotes Licht zu blinken, und ein leiser Alarm war hörbar. Die Leute erhoben sich, und verliessen gemütlich das Kino. Draussen erwarteten uns etwa 8 grosse Feuerwehrautos! Die Feuerwehrleute wollten einfach mal wieder hereinschauen. Besonders interessiert zeigten sie sich an dem Feuer, das gerade im selben Gebäude im 9. Stock brannte. (War aber nicht so schlimm, jedenfalls hat man von draussen nichts gesehen.)
In der Nacht liessen wir uns von der Fähre nach Picton auf
der
Südinsel tragen. Über Weihnachten waren wir in Blenheim und feierten drinnen besinnlich Weihnachten wie Zuhause, während sich die Einheimischen draussen betranken. Beat und Sara kochten ein wunderbares Gulasch. Ich selber hatte an diesem
Abend frei, als Gegenleistung für einen Drucker, den ich Sara mal vermacht hatte. Am 25. fand ein Barbecue statt, was sich doch etwas komisch anfühlte.
(Grillieren an Weihnachten, wo gibt's denn sowas?)
Die nächste Station hiess Kaikoura. Da kann man wunderbar Pott- und Buckelwale, Delphine und Seehunde vom Boot aus beobachten. Leider wurde ich unheimlich seekrank, so dass ich die Fahrt nicht wirklich geniessen konnte.
Schade.
Über Silvester und Neujahr waren wir in Christchurch, der grössten Stadt der Südinsel. Im Stadtpark fand ein Gratiskonzert statt, etwa 100'000 Leute kamen! Der Milleniumswechsel verlief langweilig, keine Stromausfälle oder sonstige Katastrophen. Ich war fast ein wenig enttäuscht... (Hey
Uriella, wo bleibt denn dein UFO? Häh?)
Danach gingen wir nach Akaroa, das liegt auf einer Halbinsel bei
Christchurch. Da konnten wir eine wunderbare Aussicht geniessen: Nebel rechts von der
Strasse, Nebel links von der Strasse, und Regen geradeaus. Also fuhren wir zurück nach
Christchurch, und einen Tag später über den Arthur's Pass nach
Greymouth an der Westküste, wo ich gerade in der öffentlichen Bibliothek sitze und diesen Text verfasse. (Ich glaube, sie wollen bald schliessen, die Bibliothekarin schaut mich so böse an...)
Noch ein Wort zum Wetter: Es ist meistens kalt (15 Grad), bewölkt und windig. Manchmal regnet's auch, nur so zur Abwechslung. Wenn mal die Sonne scheint, so wie heute, dann ist es an der Sonne
heiss, und im Schatten kalt. Ich hoffe, dass das Wetter bessert, wenn ich Anfangs Februar nach Australien reise. Vielleicht sollte ich eine Kopie dieses Mails an
PETRUS@HEAVEN.NET schicken, um ein wenig Druck zu machen...
Falls sich jemand berufen fühlt, mich fernschriftlich mit Papier oder andern hübschen Dingen zu versorgen, der kann das tun. Die Post muss bis zum 20. Januar an folgende Adresse abgeschickt werden, damit ich sie Anfangs Februar abholen kann:
Marcel Schnyder
poste restante
GPO
Melbourne
Australia
Vielleicht wundert Ihr Euch vielleicht, dass Ihr noch keine Postkarte von mir gekriegt habt. Das hat seinen Grund: Die neuseeländische Post hatte ein kleines Y2K-Problem, von dem ausschliesslich meine Postkarten betroffen waren. Was, ihr glaubt mir das nicht? OK, ich gebe zu, ich habe noch fast keine geschrieben. Nur einen kleinen Moment, ich gehe mich in die nächste Ecke schämen:
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Ich bin wieder da und verspreche, dass ich in naher Zukunft mit Kartenschreiben beginnen werde.
So, denn nächsten Reisebericht gibt's in ... ähm ... noch lange nicht, wahrscheinlich.
Viele Grüsse aus Neuseeland!
Marcel Schnyder, Weltenbummler